Darf ich als Muslim*in Musik hören?
Diese Frage beschäftigt uns Muslim*innen immer mehr. Auch mich, da ich Musik als einen wichtigen Teil in meinem Leben sehe und selbst auch gerne musiziere. Deswegen habe ich mich auf die Suche nach einer möglichen Antwort gemacht. Aber wie kommen wir überhaupt darauf, uns diese Frage zu stellen? Woher kommt der Gedanke des „haram“-Seins von Musik?
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Was heißt Musik im Arabischen?
Hier wird es interessant. Denn in der klassisch arabischen Sprache, das heißt im Hocharabischen (fuṣhā), gibt es keine eindeutige Übersetzung für dieses Wort. Es wird das Wort ghinā benutzt, was aber so viel heißt wie „Gesang“. Ghinā wird erst ab dem 15. Jahrhundert mit Musik gleichgesetzt. Der Gelehrte al-Ghazālī (gest. 1111 n.Chr.) übersetzt z.B. diesen Begriff mit „schöner Stimme“. In der klassischen fiqh-Literatur (Rechtsquellen des Islam) finden wir weitere Begriffe wie malāhī, lahw, maʿāḍif, hudā, nasb, hazadj, ṣawt oder schiʿr und in den Hadithwissenschaften (Aussprüche und Taten des Propheten Muhammad) finden wir den Begriff ghinā auch in Verbindung mit Musikinstrumenten.
Musik im Koran und in den Hadithen
Die Gelehrten sind sich in Bezug auf die rechtliche Deutung zu diesem Thema, also ob es haram oder halal ist, nicht einig. Einige, wie z.B. der wichtige sunnitische Gelehrte Abū Hanīfa, stufen Musik als „makrūh“ (verpönt) ein. Das heißt, dass es nicht den Status von haram hat, da es nicht wie das Essen von Schweinefleisch ein direktes Verbot im Koran gibt. Seine Vorsicht zu diesem Thema begründet er mit dem Vers 116 in Sure Nakhl wo es heißt:
“Und sagt nicht hinsichtlich dessen, worüber eure Zunge eine lügnerische Aussage macht, ,dies ist erlaubt, und dies ist verboten’, um gegen Gott eine Lüge auszuhecken! Denen, die gegen Gott Lügen aushecken, wird es nicht wohl ergehen.“
Die Gelehrten der vier sunnitischen Rechtsschulen waren ebenfalls alle vorsichtig und keiner von ihnen hat Musik als haram eingestuft. Al-Ghazālī sowie Ibn ʿArabī, deren Meinungen in der muslimischen Welt einen großen Einfluss ausüben, sagen, dass Musik weder im Koran noch in der Sunna thematisiert werde.
Die Musik besitze rechtlich gesehen daher keinen naṣṣ, also keinen eindeutigen Text aus der Überlieferung, sprich: Koran und Hadith. Deswegen sei es nicht möglich einen qiyās anzubringen. Das bedeutet, dass es nicht möglich ist, diesen Fall mit einem anderen zu vergleichen, da die entsprechenden Quellen nicht vorhanden sind.
Ebenso gibt al-Ghazālī Bespiele dafür an, was für eine Wirkung die Musik bei Menschen ausüben kann. Sie könne z.B. für innere Ruhe sorgen, wie es in Schlafliedern für Kinder der Fall sei. Wenn man die Musik als Ganzes verbieten würde, so müssten auch die Schlaflieder verboten werden, was nicht Sinn der Sache sein kann. Denn mit diesem Beispiel wird deutlich, dass Musik in seinem genutzten Kontext betrachtet werden muss und nicht pauschal als etwas Schlechtes angesehen werden kann.
Was ist dann das Problem?
Das eigentliche Problem in dieser Diskussion ist das Verständnis von dem Wort mughanniya, also Frauen, die Musik machen, die der Prophet Muhammad explizit kritisiert. Damit ist aber eine bestimmte Art von Frauen gemeint: Es handelt sich nämlich um Frauen, die Musik machen, um Männer sexuell zu erregen.
Die Hadithe, die zu diesem Thema zu finden sind, haben alle dieselbe Message: Musik, welche haram ist, ist eine bestimmte Art von Musik. Nämlich jene Musik, die dazu dient, Männer sexuell anzuregen, durch Frauen, die währenddessen Instrumente spielen und dazu singen. Die Art und Weise also, wie die Männer sich amüsiert haben, wurde als ein Problem angesehen. Die meisten Hadithe die es hierzu gibt haben nämlich folgenden Inhalt: Es sei verboten, eine Sängerin zu kaufen, zu verkaufen, sie auszubilden und sich mit ihr zu paaren, bzw. sie als Frau zu nehmen. Im heutigen Kontext könnte angenommen werden, dass hierbei Prostitution gemeint ist, das heißt der Kontext der Handlung ist verwerflich, nicht die Musik.
Schlussfolgerung
Wie bei al-Ghazālī deutlich wird, müsste also, wenn Musik haram wäre, jegliche Art von Musik, das heißt auch Schlaflieder, verboten sein. Es gibt innerhalb der muslimischen Tradition auch Strömungen, wie die Sufis (die Mystiker), bei denen Musik ein fester Bestandteil des Gottesdienstes ist. Es kommt also darauf an, zu was die gehörte Musik führt. Tut es dir gut, dann höre und spiele Musik. Falls damit aber ethische und moralische Grenzen überschritten werden, also der Kontext verwerflich ist, sollte man es lieber sein lassen.
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Infobox
Benutzte Quellen
- Apaydın, H. Yunus, İslam Ansiklopedisi, Artikel: „Ibn Hazm“, Band III, Türkiye Diyanet Vakfı, 2014 İstanbul, Seite 39-52.
- Abū Zahra, Muḥammad, Fıkıh usulü, übersetzt von Abdulkadir Şener, 10. Auflage, 2009 Ankara, Fecr.
- Al-Ġazālī, Ihya’u ulum’id-din, übersetzt von Ali Arslan, Band II, 1993 Istanbul, Merve.
- Paret, Rudi, Der Koran, 11. Auflage, 2010 Stuttgart, Kohlhammer.
- Wehr, Hans (Hg.), Arabisches Wörterbuch, 4. unveränderte Auflage, 1977 Libanon, Otto Harrasowitz.